Es ist eine der zentralen Fragen unserer Zeit: Warum ist es so erschreckend schwer, einem indoktrinierten Richter, einem loyalen Polizisten oder einem machttreuen Politiker die Realität hinter der systemischen Fassade begreiflich zu machen? Warum prallt Wahrheit so oft an exakt jenen Menschen ab, die beruflich für Gerechtigkeit, Schutz und Ordnung zuständig sein sollen? Die Antwort liegt nicht in einem Mangel an Intelligenz oder Bildung – sie liegt tiefer. Es ist ein Zusammenspiel psychologischer Selbstschutzmechanismen, das wie ein inneres Bollwerk jede Konfrontation mit der Wahrheit abwehrt, als würde sie das gesamte Ich destabilisieren. Denn wer tief eingebunden ist in ein System, das in seiner Struktur auf Kontrolle, Unterdrückung und Machtmissbrauch basiert, für den ist die Wahrheit eine existentielle Bedrohung. Sie gefährdet nicht nur den beruflichen Status, sondern auch das eigene Selbstbild. Niemand will sich eingestehen, dass er nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems ist. Niemand will sich eingestehen, dass man nicht schützt, sondern systematisch mitarbeitet an einem Apparat, der Menschen entrechtet, kontrolliert, manipuliert und ausbeutet. Also verteidigt sich die Psyche auf die einzige Weise, die ihr bleibt: Sie verschließt sich. Sie leugnet. Sie rationalisiert. Sie verniedlicht das Verbrechen und kriminalisiert die Kritik. Diese psychische Immunreaktion funktioniert nicht zufällig – sie ist das Ergebnis jahrelanger Indoktrination, in der Gehorsam zur Tugend erklärt wurde und Zweifel zur Gefahr. Besonders im Staatsdienst entsteht eine tiefe emotionale Bindung an das, was man tut, weil das System nicht nur Arbeitsplatz ist, sondern Identität. Der Uniformträger sieht sich als Ordnungshüter, der Richter als Verteidiger der Gerechtigkeit, der Politiker als Sachwalter des Volkes. Würde man diesen Menschen die Wahrheit über ihre tatsächliche Rolle in einem entgleisten System vor Augen führen, müssten sie nicht nur ihre Funktion, sondern ihr gesamtes Selbstbild infrage stellen. Das ist für die meisten nicht nur unangenehm – es ist psychisch nicht verkraftbar. Hinzu kommt die psychologische Komfortzone des Gehorsams. Wer sich unterordnet, ist entlastet. Wer auf Befehl handelt, muss keine Verantwortung übernehmen. Das eigene moralische Urteil wird durch Regeln ersetzt. Und genau deshalb sehen sich viele Staatsdiener nicht als Täter, sondern als loyale Zahnräder in einem Apparat, dessen Richtung sie selbst nicht zu verantworten glauben.
Der Satz „Ich habe nur meine Pflicht getan“ ist kein Zufall – er ist das letzte Bollwerk gegen die Erkenntnis, dass man selbst Teil eines Systems ist, das längst alle roten Linien überschritten hat. Diese Abwehr geht oft einher mit einer Umkehr der Schuld. Wer das System kritisiert, wird nicht als Warner gesehen, sondern als Bedrohung. Der Kritiker wird nicht widerlegt, sondern pathologisiert: als Querulant, als Extremist, als Verwirrter. Auf diese Weise kann die herrschende Ordnung sich selbst immunisieren – nicht durch Argumente, sondern durch Ausgrenzung. Gleichzeitig greifen auch die sozialen Sicherungssysteme der Anpassung: Pensionsansprüche, Karrierechancen, Gruppendruck. Wer sich gegen das System stellt, stellt sich nicht nur gegen eine Idee – er verliert seine Zugehörigkeit, seine Zukunft, seine soziale Sicherheit. In dieser Mischung aus Angst, Selbstschutz und systemischer Abhängigkeit wird jede Form von Wahrheit zur Gefahr – nicht, weil sie falsch wäre, sondern weil sie das gesamte Gebäude aus Loyalität und Lüge erschüttert. Und deshalb wird sie mit aller Gewalt bekämpft. Nicht, weil sie irrational ist – sondern weil sie zu rational ist, um sie ignorieren zu können. Wer heute die Macht missbraucht, darf keine andere Wahrheit zulassen als die eigene. Es darf nur ein Narrativ existieren, nur eine Linie, nur ein Dogma. Alles andere wird diffamiert, überwacht, gelöscht, bekämpft. Doch das vielleicht Tragischste daran ist: Diese Herrschenden haben keine Macht aus sich selbst heraus. Sie leben von der Energie der Beherrschten, von deren Angst, deren Gehorsam, deren Zustimmung. Wer sich ihrer Autorität entzieht, entzieht ihnen die Existenzgrundlage. Und genau das macht Kritik so gefährlich: Nicht, weil sie laut ist – sondern weil sie das Potenzial hat, das System von innen heraus aufzulösen. Deshalb ist es so schwer, den Indoktrinierten zu erreichen. Sie verteidigen nicht nur das System – sie verteidigen ihr eigenes psychisches Überleben. Sie müssen glauben, dass sie das Richtige tun, weil die Wahrheit sie zerbrechen würde. Doch genau deshalb muss die Wahrheit gesprochen werden. Nicht, um zu überzeugen – sondern um zu entlarven. Damit das System, das sich auf Lüge, Kontrolle und psychologische Abhängigkeit stützt, endlich das wird, was es verdient: überflüssig.